"Stein wird zur Erzählung. Wir reichen die Geschichten
aus der Vergangenheit durch Stein und Mund weiter.
Wenn das Wort erstirbt übernimmt der Stein.
Er überdauert."  Thomas Mukarobwa
 
Die Kunst Afrikas lebt,
Zimbabwes Steinbildhauer liefern einen eindrucksvollen Beweis
 

Afrika - sechs Buchstaben, zu einem klangvollen Begriff aneinandergefügt, der in uns Europäern fast ausschließlich Assoziationen auslöst, die mit dem schwarzen Teil des Kontinents verbunden sind. Darüber hinaus neigten die Weißen, die Europäer, lange Zeit zu der Ansicht, man könnte die Gebiete südlich der Sahara als rassische und kulturelle Einheit betrachten. Man ging allzu selbstverständlich davon aus, dass allen Schwarzafrikanern ein gemeinsamer Ursprung zu Grunde liege und sprach von einer einheitlichen Heimat der Schwarzen. Diese Betrachtungsweise führte zwangsläufig zu Fehleinschätzungen der gesellschaftlichen, kulturellen oder künstlerischen Leistungen der verschiedenen Völker, so dass unser Afrikabild überwiegend von Klischeevorstellungen geprägt war. Die Klärung der Frage, warum das so war, führt an dieser Stelle zu weit. Dieser Text soll eher als Hinweis darauf verstanden werden, dass eben nicht die Einheitlichkeit, sondern die enorme Vielfalt der Kulturen das bestimmende Element Schwarzafrikas war und ist. Ein kleiner Ausschnitt aus diesem riesigen schöpferischen Potential soll durch unsere Ausstellungen »Mythos Stein« vermittelt und gewürdigt werden. In ländlichen Gebieten Zimbabwes begegnet man oft Menschen, deren Weltbild eine tiefe Verwurzelung mit der Natur zu Grunde liegt und Gedanken, in denen der Ahnenverehrung eine herausragende Rolle zukommt. Selbst wenn der heutigen Gesellschaft Zimbabwes der Verlust dieser Werte durch die fortschreitende Zivilisation droht, sind sie für die Bildhauer des Landes noch von zentraler Bedeutung. »Stein wird zur Erzählung, wir reichen die Geschichten aus der Vergangenheit durch Stein und Mund weiter, wenn das Wort erstirbt, übernimmt der Stein«. Damit könnte man zum einen das Motiv der Bildhauer treffend erklären und zum anderen auf ein sehr ausgeprägtes Verhältnis der Bevölkerung zum Stein schließen. In der Tat gibt es neben den außergewöhnlichen Talenten der Skulpteure genügend Gründe für diese Annahme. Die rätselhaften Ruinen von Great Zimbabwe sind steinerne Zeugen einer frühen schwarzen Hochkultur und ein Meisterwerk der Steinbaukunst. Ein heiliger Ort, ein Schrein der Vorfahren und schließlich Namensgeber des Landes. Zimbabwe bedeutet: die Häuser aus Stein. Die Umgebung der Ruinen und viele andere Landesteile werden von imposanten Felslandschaften beherrscht, deren Anblick allein schon ausreicht, die Phantasie des Betrachters zu beflügeln. Wie überdimensionale Schildkrötenpanzer ragen gewaltige Granitmonolithe weit verstreut aus der Ebene, während man an anderen Orten glaubt, von Riesenhand geschaffene Skulpturen vor sich zu haben. Wer sich in diesen Hügeln aufhält und die erhabene Stille der Abenddämmerung auf sich wirken lässt, der wird etwas von der geheimnisvollen Kraft der Felsen spüren. So wie schon vor Jahrtausenden die San (Buschmänner) hinter dem Stein die Geisterwelt vermuteten, deren Kreaturen sie mit Ihren Felszeichnungen zum Herüberkommen bewegen wollten. Wie für die San, besaßen später auch für die Shona viele Orte eine starke spirituelle Ausstrahlung. In manchen Höhlen bestattete man die Ältesten, deren Geister sich fortan im Stein aufhielten. Über bestimmte Menschen - die spirit mediums - können die Vorfahren mit den Lebenden sprechen oder bei wichtigen Angelegenheiten um Rat befragt werden. Die plastische Darstellung der Überlieferungen ist somit auch das dominante Thema für Zimbabwes Bildhauer. Der Stein muss zu ihnen sprechen, damit sie die Skulptur erspüren können, die ihm innewohnt. Erst dann entfernt der Bildhauer das überflüssige Material und verleiht der erschaffenen Skulptur ihre Einmaligkeit. Auf diese Weise leisten Zimbabwes Künstler einen eindrucksvollen Beitrag zur besseren ästhetischen Wahrnehmung afrikanischer Kreativität und Schaffenskraft.

(Manfred Engisch)

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